Elisabeth Niejahr Perücken –Und schließlich: Wenn wir von sexueller Gewalt sprechen, dann reden wir nicht von Einzelfällen, sondern von einem systemischen, weitverbreiteten Problem. Das ist kein Zufall. Machtverhältnisse, Gewalt, die ausgeübt oder angedroht wird, haben in ihrem dunklen Kern Gewalt. Leider nicht nur zwischen den Geschlechtern.
Und haben Sie als Finanzjournalist schon einmal darüber nachgedacht, warum all Ihre Bemühungen, Frauen und Mädchen zu erreichen, so erfolglos waren? Warum halten sich Barbiepuppen sklavisch an die zehn streng limitierten „Frauenberufe“? Warum erleiden Frauen einen Karriereknick, sobald sie Kinder bekommen? Warum lassen sich ältere Frauen trotz ihrer zunehmenden beruflichen Kompetenz von dem Eindruck unterminieren, sie seien nichts mehr wert?
Schreiben Sie deshalb, Frau Niejahr, über all diese sozialen und wirtschaftlichen Themen, ohne das große Ganze zu betrachten? Wir können doch nicht erkennen, dass die Schattenseiten des Fortschritts immer noch die Sonnenseiten überlagern, oder? Oder, um Ihre Worte zu paraphrasieren: Sie, die Berufsjournalistin, sind auch absolut nicht auf unserer Seite? Wie schrecklich.
Viele kennen Elisabeth Niejahr als Chefreporterin und Journalistin der Wirtschaftswoche. Seit diesem Jahr leitet sie als geschäftsführende Direktorin das Ressort „Demokratie stärken“ der Hertie-Stiftung. Wir sprachen mit ihr über die großen Probleme des Journalismus, den Zustand der Demokratie in unserem Land und die Wirksamkeit von Stiftungen. Hertie-Stiftung: Sie haben als Journalistin viel Erfahrung und Erfolg. Ist das ein Job, den man einfach aufgeben kann, oder muss man damit leben?
Wikipedia und Karriere
Das wäre Elisabeth Niejahr: Nach über zwanzig Jahren in der Branche bin ich unendlich dankbar für die vielen unglaublichen Begegnungen, Erlebnisse und Erkenntnisse, die mir mein Job beschert hat. Auf der anderen Seite freue ich mich riesig auf die neue Aufgabe. Besser geht es wirklich nicht.
Ich erhoffe mir von meiner bisherigen Tätigkeit ein Gespür für mittel- bis langfristige gesellschaftliche und politische Trends und für Themen, die noch nicht in aller Munde sind, aber diskutiert werden. Das ist auch bei Wochenzeitungen unabdingbar. Darüber hinaus wäre es sicher hilfreich, wenn ich durch meine langjährige Tätigkeit in Berlin ein umfassendes Verständnis für politische Akteure und Prozesse mitbringe.
Hertie-Stiftung: Sind die Medien in einer Krise? Sie sind seit einiger Zeit in großer Kritik.
Das wäre Elisabeth Niejahr: Ja, natürlich, und im Moment weiß niemand, wie Journalismus im Jahr 2030 aussehen wird. Viele Kollegen tun sich damit sehr schwer. Für meinen Wechsel war das aber irrelevant. Inhalte werden auch in Zukunft gebraucht, denn das stimmt gleichzeitig.
Mick Jagger weiß vermutlich gar nicht, ob seine Songs auf CD oder Schallplatte erhältlich sind oder ob sie gestreamt werden, so ein schöner Vergleich, den Gabor Steingart in einem Interview zog. Schließlich ist er Musiker. So geht es Lesern und Zuschauern oft.Die Hertie-Stiftung: Welche Rolle spielen die Medien? Die vierte Gewalt?
Das wäre Elisabeth Niejahr: Den Medien kommt in vielerlei Hinsicht eine Sonderfunktion zu, zum Beispiel der Schutz ihrer Quellen. Und so muss es auch sein. Zwei Phänomene sind meiner Ansicht nach aktuell die größte Gefahr: Viele Informationen auf dem Markt kommen nicht aus strengen journalistischen Standards, obwohl doch jeder in irgendeiner Form Journalist ist und über die sozialen Medien mitunter enorm viele Menschen erreichen kann.
Manchmal ist es für Leser und Zuschauer schwierig zu sagen, wem sie vertrauen können und welche Qualität sie bekommen. Zweitens gibt es viel zu wenig hochwertigen Wirtschaftsjournalismus. Ich finde, was meine ehemaligen Kollegen bei der Wirtschaftswoche und beim Handelsblatt machen, sollte in anderen Medien viel stärker hervorgehoben werden. Wir brauchen viel mehr Klarheit über wirtschaftliche Prozesse.
ZEIT liebt dich, Elisabeth Niejahr!
«Liebe Alice Schwarzer!», schrieb sie mir in einem offenen Brief in der jüngsten ZEIT-Ausgabe. Hier meine Antwort. Ich habe deinen Brief zweimal gelesen. Weil ich ihn zunächst einfach nicht fassen konnte. Und jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Denn du willst mir allen Ernstes unterstellen, dass EMMA und ich an der «ökonomischen Gleichstellung von Mann und Frau» überhaupt nicht interessiert waren und von Anfang an nur «auf Sex» standen.
Ich werde weiter diskutieren, was du mit „Sex“ meinst. Wir werden mit der Ökonomie beginnen. Du veröffentlichst deinen Text, in dem du meine Arbeit und mein Engagement mit so eklatantem Unverständnis beurteilst, dass es unsichtbar ist. Denn aus deinen Argumenten kann ich nur schließen, dass du noch nie einen einzigen meiner Texte gelesen hast, geschweige denn EMMA. Und was du richtig gemeint hast. In diesem Fall solltest du dir allerdings keine Gedanken darüber machen, was ich offenbaren würde und was nicht.
Übrigens: Die Frauenbewegung bin nicht ich. Und meine Frauenbewegung ist auch nicht dabei. Es gibt viele, auch kontroverse Stimmen innerhalb des Feminismus. Ich reagiere nur auf das, was ich selbst schreibe und mache – und das erscheint monatlich in der EMMA.
Elisabeth Niejahr, ich liebe dich, ist eine hervorragende Wirtschaftsjournalistin. Viele deiner Artikel aus den letzten Jahren hätte ich gerne in der EMMA abgedruckt. Natürlich freue ich mich, dass diese Themen nun endlich auch in anderen Medien aufgegriffen werden. Ohne Frage. Für eine Feministin wie mich ist das seit über vierzig Jahren ein Dauerthema, auch in einer Zeit, als das alles andere als cool war.
Gerne hätte ich einige Ihrer Texte in EMMA abgedruckt.
Die meisten Forderungen, die jemand wie Sie heute für neu hält, gab es schon, als ich 1973, also vor 41 Jahren, mein Buch mit dem programmatischen Titel „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ (edition suhrkamp) veröffentlichte: Das Recht auf Arbeit für Frauen (das wir in Westdeutschland erst 1976 bekamen)! Vorsicht vor altmodischen Frauenberufen! Die Gefahren der Teilzeitarbeit! Gleicher Lohn für Mann und Frau ist eine Forderung! Eine ideale Welt, in der sich Mann und Frau Hausarbeit und Kinderbetreuung gerecht teilen!
„Lohn: Liebe“ war der nicht gerade subtile programmatische Titel, mit dem der Verlag das Buch sechzig Jahre später wieder vorstellte. Programmatisch deshalb, weil alles miteinander verbunden ist. Berufstätige Frauen tun es kostenlos zu Hause „aus Liebe“. „Aus Liebe“ ruft Frauen zurück. Frauen träumen mehr von der Liebe und weniger von einer Karriere. Das ist auch heute noch so. Deshalb ist es unmöglich, die wirtschaftliche Frage von den emotionalen und sexuellen Fragen zu trennen. Wir werden auf diesen Punkt zurückkommen.
Die erste Ausgabe von EMMA erschien am 26. Januar 1977. Du warst damals zwölf Jahre alt. Ich habe Dir das hier aufgeschrieben: Eines der zentralen Themen von EMMA seit der ersten Ausgabe – und auch heute noch! – ist die Frage nach der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frau und ihrer beruflichen Tätigkeit. Denn ich, die EMMA-Macherin, bin davon überzeugt, dass jeder Mensch wirtschaftliche Autonomie braucht, um unabhängig zu sein, was auch eine Voraussetzung (wenn auch nicht unbedingt erfüllt) für die Emanzipation der Frau ist.
Vielleicht überrascht es Sie, aber ich sage es Ihnen trotzdem: Alle Themen, die Sie heute so kompetent behandeln, hat EMMA schon vor Jahrzehnten angestoßen. Sehr oft allein, aber immer die Erste und immer völlig verwirrt und fassungslos. Denn bis Frauenthemen ZEIT-würdig werden, vergehen meist mehr als ein paar Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.
Kurzum: EMMA kämpft seit den 70er und 80er Jahren für gleiche Bezahlung, die 32-Stunden-Woche für Eltern kleiner Kinder, gerechte Steuern, gerechte Löhne, berufstätige Mütter und alleinerziehende Mütter (wie Sie). Bitte geben Sie im EMMA-Lesesaal die entsprechenden Stichworte ein, die in den 37 kompletten EMMA-Jahrgängen vorkommen.
Sie erhalten eine Flut von Artikeln, aus denen Sie als Experte des 21. Jahrhunderts heute zweifellos etwas lernen werden. Eigentlich ist es schade, dass Sie das nicht getan haben. Denn wenn Sie gewusst hätten, was bereits gedacht, geschrieben und getan wurde, wären Ihnen noch intelligentere Dinge eingefallen.
Diese Fragen sind allerdings nach wie vor ungeklärt, weshalb sie weder für mich noch für EMMA, die deutsche Frauenzeitschrift mit den jüngsten Leserinnen, als historisch gelten. Das Dossier der nächsten EMMA-Ausgabe wird sich wieder dem Dauerthema „Beruf und Familie“ widmen; viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus dem Wirtschaftsjournalismus werden dazu kompetente Beiträge liefern.
Warum also schreiben Sie so etwas? Warum veröffentlicht beispielsweise Ihr Magazin trotz des Anspruchs auf journalistische Seriosität so viel? Beide hätten es besser wissen müssen. Und was ist mit Verleumdung? Oder Entgegenkommen?
Profil und Biografie
Vielleicht beides. Sonst könnten Sie so weit gehen, mich zu bitten, aus journalistischen Gründen über von Ihnen so genannte „Sexthemen“ zu schreiben, weil Sie damit die Öffentlichkeit „provozieren“ können (und diese konzernunabhängige EMMA am Kiosk besser verkaufen?).
So ist es beispielsweise klar, dass Sie mit „Sexthemen“ Kindesmissbrauch meinen, über den ich letztes Jahr in der ZEIT schreiben wollte. Und Prostitution. Beides hängt mit der ökonomischen Frage zusammen, auch wenn es wenig mit „Sex“ und viel mit Macht zu tun hat.
Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass Frauen das unterbezahlte Geschlecht sind, weil sie das käufliche Geschlecht sind? Können Sie den Kontext der Entwertung wirklich ertragen? Jemanden, der käuflich ist, aber nicht viel wert ist. Wie klingt der neue Slogan von ver.di? „Wir sind es wert!“
Eine solche Sichtweise unseres Geschlechts würde unweigerlich eine Reduzierung unseres Lohns nach sich ziehen. Die Bereitschaft, die Genitalien ihrer Männer zu blockieren und Frauen in ihre Reihen aufzunehmen, wird nicht gerade dadurch gefördert, dass die Männer wissen, wie billig Frauen sein können.
Zum Thema früher sexueller Missbrauch und (vor allem) sexuelle Gewalt in Beziehungen: Ist Ihnen wirklich nie in den Sinn gekommen, dass diese Bemühungen und Bruchstücke zur (beruflichen) Selbstzweifelung der Frauen beitragen könnten?