Anne Hähnig Wikipedia – Anne Hähnig ist Chefredakteurin von ZEIT Ost und Leiterin des ZEIT-Korrespondentenbüros in Leipzig. Sie studierte Politikwissenschaften an der Universität Leipzig und wurde 1988 im sächsischen Freiberg geboren. Sie besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie ist neugierig auf die Auswirkungen der weiteren Differenzierung Ostdeutschlands auf den Rest des Landes.
Die unangefochtenen Meister der Anpassung
Wie wurden Frauen in Ostdeutschland von Prügelknaben zu Cheerleaderinnen der deutschen Wiedervereinigung? Durch ihre bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit an die Herausforderungen des Lebens. Auch wenn es ungewöhnlich klingt: Ich bekam einen Einblick in das Leben ostdeutscher Frauen in einem Kreißsaal. Als ich vor einigen Wochen das Leipziger Universitätsklinikum besuchte, fiel mir im Flur der Entbindungsstation ein Schild mit der Aufschrift „Geburtenzahlen von 1941 bis 2018“ auf.
Dies ist ein Beleg dafür, dass hier innerhalb von zwei Jahren kaum ein Kind geboren wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg war 1948 ein entscheidendes Jahr. 1994, nach der Friedlichen Revolution, gab es noch weniger Geburten. «Die Wiedervereinigung hat hier mehr bewirkt als der Krieg», sagt eine Hebamme.
Frauen des Ostens: Mehr als nur praktisch
Auf den ersten Blick könnte man diese Grafik mit dem Klischee erklären, dass Frauen aus dem Osten praktischer seien. Aufgrund der mit der Wiedervereinigung verbundenen Unsicherheit oder dem Wunsch nach einem Neuanfang bekamen Anfang der 1990er Jahre nur wenige Frauen in den neuen Bundesländern Kinder. Pragmatisch bedeutet, sich an der Realität zu orientieren und sich auf die Suche nach praktischen Lösungen zu konzentrieren.
Anna Hahn-Giel
ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule in München und wurde 1988 in Freiberg im Erzgebirge geboren. Als Redakteurin im Leipziger Büro der Wochenzeitung DIE ZEIT berichtet sie hauptsächlich über Nachrichten aus Ostdeutschland und der Region. Meiner Meinung nach reicht das nicht aus, um die einzigartigen Eigenschaften vieler ostdeutscher Frauen zu erklären. Diese Damen sind meiner Meinung nach wirklich realistisch. Sie können und werden sich an alle Umstände anpassen, die das Leben ihnen bietet. Wenn sich die Umstände ändern, passen sie ihre Familienziele schnell an. Sie sind besser als alle anderen auf der Welt, wenn es um Anpassung geht.
Was hält die Befreiung zurück?
Starke, unabhängige Frauen aus dem Osten waren die Norm, als ich in den 90er Jahren als Kind in Sachsen aufwuchs. Erst einige Zeit später begann ich, sie geheimnisvoll zu finden. Frauen sind der Kitt, der meine Familie und die meisten Familien, die ich kenne, zusammenhält. Sie sind die Autoritätsträger. Sie sind auch diejenigen, die mich als Kind dazu inspiriert haben, in der Schule hart zu arbeiten und an mein eigenes Potenzial zu glauben. Interessanterweise glaube ich nicht, dass mir zu Hause beigebracht wurde, eine Feministin zu sein. Ich muss unabhängig und selbstbewusst sein.
Aber eine Verfechterin der Gleichberechtigung? Ich habe als Kind den Glauben verinnerlicht, dass es besser ist, Probleme zu ignorieren oder herunterzuspielen, als sie direkt anzugehen. So kommt man weiter. Mit der Zeit wurde mir bewusst, unter welchem Druck ostdeutsche Frauen in der DDR standen. Viele Leute, die ich kenne, haben immer nur erwähnt, wie freizügig sie sich damals fühlten. Aber dass sie viermal so viel Hausarbeit machten wie Männer, dass sie ständig gestresst waren, weil sie Vollzeit arbeiten mussten, Kinder bekamen, einen Haushalt führten und sich ehrenamtlich engagierten?
Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung und Autorin eines Buches zum Thema, teilte mir diese Einsicht im Gespräch mit. „Ich glaube einfach nicht, dass die DDR ein gutes Beispiel für Emanzipation ist“, sagte Kaminsky. Ich möchte etwas tun, um diesen Wandel zu verhindern. Nach den mir vorliegenden Daten war der Mauerfall für Frauen im Osten besonders hart. Sie waren schon in jungen Jahren arbeitslos und lebten häufiger in Armut. Sie hätten diejenigen sein müssen, die innerhalb der Gruppe Verluste erlitten hätten.
Können Sie sich erinnern, sie schon einmal stöhnen oder ächzen gehört zu haben? Das Blatt hat sich gewendet. Statistisch gesehen verfügen osteuropäische Frauen heute über ein höheres Bildungsniveau als osteuropäische Männer. Diese Gruppe weist auch eine niedrigere Arbeitslosenquote auf. In den 1990er Jahren verließen Frauen ihre Heimat viel häufiger als Männer und suchten in Industrieländern nach besseren Möglichkeiten. Aus diesem Grund gibt es in manchen Teilen Osteuropas heute fast keine Frauen mehr.
Wenn es keinen Streit gibt, dann
Die westdeutsche Welt muss den Frauen aus der DDR bei ihrer Ankunft fremd vorgekommen sein. Nach 1990 ging die Zahl der Kindertagesstätten in den neuen Bundesländern zurück, dafür stieg die Zahl der gebildeten Mütter, die zu Hause blieben, um ihre Kinder großzuziehen. Ich glaube, wir leben heute in einer ausgesprochen feministischen Ära. Frauen jüngerer Generationen fragen sich oft, warum sie in der Elite des Landes nicht mehr weibliche Vorbilder sehen. Gründe, warum das Berufsleben der meisten Frauen endet, wenn sie Kinder bekommen.
Vor zehn Jahren waren solche Studien noch eine Seltenheit. Nicht einmal von Ostdeutschen. Manche von ihnen haben große Fortschritte gemacht und sind in hohe Ämter aufgestiegen, etwa Angela Merkel, Manuela Schwesig, Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, und Katrin Göring-Eckardt, die Vorsitzende der Grünen. Doch was viele Ostfrauen – vor allem die gebildeten unter ihnen – auszeichnet, ist, dass sie trotz ihrer felsenfesten Rationalität emanzipatorische Probleme ignorieren, als gäbe es nichts zu diskutieren.
Anstatt sich über Einschränkungen zu beschweren, sehen sie diese als Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Ihre Rücksichtslosigkeit richtet sich vor allem gegen sich selbst. Im Verhältnis zu anderen Menschen. Schwierigkeiten würden sie am liebsten von vornherein vermeiden, wenn es irgendwie möglich ist. Das ist eine gute Taktik, aber sie wird nicht ausreichen, wenn es die einzige ist. Es sind keine Auseinandersetzungen oder Meinungsverschiedenheiten entstanden. Für einen demokratischen Staat ist dies jedoch unabdingbar. Das Unerreichbare lässt sich nicht durch ständiges Streben nach Perfektion ändern.
Vielleicht hat deshalb ein ostdeutscher Mann und nicht eine Frau unsere Familienwerte nicht verändert. Wer hat das Elterngeld eingeführt und wer hat das Gesetz entworfen, das allen Eltern einen Kitaplatz garantiert? Derjenige, der die Bundesrepublik ein wenig ostgermanisiert hat. Für all das ist jetzt die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen verantwortlich. Von der Leyen ist nicht die ostdeutschste Westdeutsche, die ich je getroffen habe, aber die beste Feministin der Bundespolitik.
„Zeit im Osten“
Wenn Menschen in Deutschland, die in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR; siehe auch: Neue Bundesländer) geboren oder aufgewachsen sind, Vorurteilen ausgesetzt sind, spricht man von einer Diskriminierung von Ostdeutschen. Deutsche Arbeitsgerichte kamen in mehreren Urteilen zu dem Schluss, dass eine Benachteiligung Ostdeutscher nicht gegen das AGG-Verbot der Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, nationaler oder ethnischer Herkunft oder Religion verstößt. Fraglich ist, ob Ostdeutsche eine ethnische Gruppe darstellen oder nicht.
In den 1990er Jahren untersuchten mehrere Studien den Mangel an Ostdeutschen in der deutschen Elite. Es gab zahlreiche Vorschläge, eine Art Quotensystem einzuführen. Drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung fällt es vielen Menschen immer noch schwer, sich als Ostdeutsche zu identifizieren. Empirische Studien und Umfragen charakterisieren die Gruppe daher auf viele unterschiedliche Weisen.
(2009) in Würzburg.
2009 verklagte ein in Ostdeutschland geborener Koch einer US-Kaserne das Arbeitsgericht Würzburg, weil seine Vorarbeiter ihn als «ostdeutsche Schlampe» und «Ossi» bezeichnet hatten. Da das US-Militär nach dem NATO Forces Act vor Klagen geschützt ist, verklagte der Angeklagte stattdessen Deutschland. Das Gericht entschied gegen die Zuerkennung von Schadensersatz für seelische Belastungen und argumentierte, dass «Ossi» keine ethnische Beleidigung und keine Diskriminierung von Ostdeutschen sei.
Während der Friedlichen Revolution 1989 war der Ausspruch „Wir sind ein Volk“ weit verbreitet; das Gericht berief sich dabei auf einen Kommentar des Rechtsexperten Gregor Thüsing, in dem er einen Zusammenhang zwischen diesem Slogan und dem arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz herstellte.
Aktuelles Jahr:
2010 entschied das Arbeitsgericht Stuttgart, dass Ostdeutsche keine geschützte Gruppe im Sinne des Bürgerrechtsgesetzes von 1991 seien. Eine Frau aus Berlin-Lichtenberg, die sich in Stuttgart auf eine Stelle als Buchhalterin beworben hatte und abgelehnt wurde, reichte jedoch Klage ein. Sie verlor. In ihrem Lebenslauf war mit Kugelschreiber neben einem Minuszeichen das Wort „Ossi“ hingekritzelt. Das Arbeitsgericht entschied, dass das Wort diskriminierend sein könne, aber gegen die Definition einer ethnischen Gruppe im Gleichbehandlungsgesetz verstoße, weil es keine gemeinsamen Bräuche, Sprachen, Religionen oder Ernährungsweisen gebe.
Zudem war die Zeit der deutschen Teilung zu kurz, um ethnische Spannungen auszulösen. Es war damals eine umstrittene Entscheidung. Laut Rechtsexperte Oliver Mörsdorf wurde das Stuttgarter Urteil in der akademischen Gemeinschaft hoch gelobt. Die stärkeren Beweise sprachen jedoch dafür, Westdeutsche und Ostdeutsche als unterschiedliche ethnische Gruppen im Sinne von § 1 AGG zu betrachten. Laut Politikwissenschaftler Dan Bednarz zeigt das Urteil, dass das deutsche Justizsystem nicht bereit ist, die Vorurteile gegenüber Ostdeutschen anzugehen.
2019 Berlin
Zu einem ähnlichen Schluss kam das Berliner Arbeitsgericht 2019 in einem vergleichbaren Fall eines Journalisten. Er hatte gegen die Sonntagszeitung geklagt, bei der er arbeitete, weil seine Vorgesetzten ihn wegen seiner Persönlichkeit beleidigt hatten. Er wurde als «blöder Ossi» beschimpft und verkehrte in Redaktionssitzungen mit Stasi-Agenten. Seine psychische Gesundheit habe darunter gelitten. Er argumentierte, gestützt auf ein Gutachten, dass Ostdeutsche in dem Verfahren als eigenständige Volksgruppe betrachtet werden müssten.
Das Gericht wies die Klage unter Berufung auf das Stuttgarter Urteil ab und stellte fest, dass es unter den Ostdeutschen keine gemeinsame Weltanschauung gebe und sie daher keine eigenständige ethnische Gemeinschaft darstellten.