Ehemann von Florence Gaub –Versuche, sich mit Phrasen wie „Anderssein“ oder „die Anderen sind anders als die Mehrheit“ zu definieren, sind umstritten und problematisch. Man geht davon aus, dass für sie keine Gefahr besteht. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Einer ist ausgezeichnet, der andere ist schrecklich. Sobald Sie die Worte „Das ist schlecht“ aussprechen, führen Sie den Objektpunkt ein, einen komplexen Menschen mit sowohl positiven als auch negativen Eigenschaften, der letztendlich die Wahrheit über die Menschheit symbolisiert.
Mit der Aussage „Anderssein heißt böse sein“ schafft man die emotionale Distanz, die man braucht, um Gewalt anzuwenden. Wenn „Gut-Böse-Denken“ auftaucht, ist das wie ein Warnsignal. Vorsicht: Ihr Putin muss einige gute Eigenschaften haben. Trotzdem muss ich meine Missbilligung zum Ausdruck bringen.
Wollten Sie damit vielleicht sagen, dass Hitler auch gut mit seinem Hund umgehen konnte? Was mir Sorgen macht, ist, dass wir die Komplexität vieler Opfer, insbesondere in Fällen von Gewalt und Konflikten, nur schwer verstehen können. Wir hätten es lieber, wenn der andere einfacher wäre. „Vielleicht hat er ein Argument, das ich einfach nicht verstehe“ ist viel differenzierter, als Putin einfach zu beschuldigen, schrecklich oder verrückt zu sein.
Was bedeutet dies also aus russischer Sicht?
Wir waren von Anfang an verwirrt über die wahren Absichten Russlands. Meinen Sie die gesamte Region oder nur die Regionen Donbass und Krim? Das ist im Moment die Frage. Übrigens, wann genau wird der Dritte Weltkrieg beginnen? Ein Teil des Problems ist, dass die andere Seite nicht als Geschichte verstanden werden kann. Die Erzählung unserer eigenen Geschichte und die, die wir den Ukrainern vermitteln wollen, ist kristallklar, aber die Erzählung der russischen Vergangenheit bleibt für uns ein Rätsel.
(Theodora Gaub)
Dr. Florence Gaub ist Zukunftsforscherin, Politikwissenschaftlerin und Militärstrategin und leitet als Forschungsleiterin am NATO Defense College in Rom eine Reihe von Initiativen. Durch Trendanalysen und die Planung zukünftiger Szenarien informiert Gaub Regierungen und internationale Organisationen. In diesem Buch untersucht sie die Gründe für die menschliche Fähigkeit, sich die Zukunft vorzustellen, wie man dieses Talent nutzen kann und welchen Wert es hat, dies auch angesichts großer Unsicherheit zu tun.
Dr. Florence Gaub ist Analystin am Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union (EUISS) und arbeitet in Paris. Ihre Forschungsschwerpunkte im arabischen Raum sind Verteidigungspolitik, Konfliktmanagement und interkulturelle Kommunikation. Zu Gaubs früheren Arbeitgebern zählen der Deutsche Bundestag und das NATO Defence College.
Grüße, Taz Fuzzy. Die Geschichte eines Krieges wird erzählt, Frau Gaub. Wurden die Temperaturwerte mitgeteilt?
Fortsetzung von Florence Gaubs Geschichte: Das Wichtigste zuerst, eine Biografie, die organisiert ist. Hinter jeder Geschichte steckt eine Handlung oder Bedeutung, und jede Geschichte gipfelt in einem dramatischen Höhepunkt, nachdem Spannung aufgebaut wurde. Auch hier hatte der Krieg Auswirkungen. Dann gibt es die emotionale Seite:
Weil es existenzielle Themen behandelt, fühlen wir uns gezwungen, auf eine Art und Weise zu handeln, die wir normalerweise nicht tun würden, aber das ist die Natur der Fiktion im Allgemeinen, sogar von Kriegsgeschichten. Einerseits könnte es um den Tod gehen, aber es könnte auch etwas viel Monumentaleres sein, wie das Überleben einer Nation oder ihrer Identität.
Selbst in den einfachsten Geschichten gibt es Gute und Böse. Je dichter die Handlung wird, desto einfacher wird es, die Guten von den Bösen zu unterscheiden. Viele Leute haben einen Schlussstrich unter die jüngsten Ereignisse gezogen: Die Russen sind böse, die Ukrainer sind gut. Basierend auf ihren Aussagen hat die Protagonistin dieser Geschichte ein Interview mit sich selbst geführt. Genau. Einige Nachrichtenagenturen gaben an, dass Europa und die Ukraine nach dem Gewinn des Wettbewerbs die Erzählung übernommen hätten.
Auf keinen Fall!
Wenn Russland plötzlich unsere Ansichten teilt, könnten wir es überzeugen. Ich weiß, dass das nicht ihr Ziel ist. Dass nicht alle überzeugt waren, wird deutlich, wenn man sich den Abstimmungsprozess in der UN-Generalversammlung ansieht. Jeder von uns ist bereits überzeugt. Trotzdem bleibt es ein innerer Monolog.
Das könnte sich ändern, wenn der ukrainische Präsident Selenskyj die Kontrolle über den russischen Medienmarkt zurückerlangt. Sein derzeitiger Wahlkampf macht bei den Russen keinen großen Eindruck, da sie ihre Nachrichten hauptsächlich aus dem staatlichen Fernsehen und nicht von Twitter beziehen. Aus diesem Grund hat er auch überraschend mehrere Videos gemacht, die meisten davon auf Russisch. Auch für russischsprachige Ukrainer. Andererseits gehen wir davon aus, dass die Annäherung an die Russen das ultimative Ziel ist.
Wie lässt sich erklären, dass die Rolle von Geschichten und Bildern in der Diskussion über diesen Krieg fast völlig ignoriert wird? Weil die emotionale Achterbahnfahrt in Deutschland vorbei ist. Eine objektive Einschätzung der Lage ist angesichts dieses emotionalen Tiefpunkts, an dem sich das ganze Land schnell wiederfindet, unmöglich. Die Bilder und die Geschichte werden mit der Hand getragen.
Unabhängig vom Jahrzehnt waren Disruptionen angesagt. Jetzt ist alles wie erwartet?
Es wird schon lange darüber gesprochen, wie man Fake News erkennt und alles hinterfragt, nicht nur in Deutschland. Dann stürzt man sich direkt in die Action. Selenskyj kennt sich damit hervorragend aus und kann hervorragend Geschichten erzählen. Er hat hervorragende schauspielerische Fähigkeiten und ist auch ein hervorragender Redner. Egal, vor welchem Publikum er spricht, er achtet immer darauf, seine Rede entsprechend anzupassen.
Wie wollen Sie es behalten?
Ich erinnere mich noch, als er in einer Videoübertragung der britischen Untergrundbewegung auftrat und angeblich Churchill erwähnte. Dass er bei diesem Europäischen Rat sogar sagte: „Ich weiß nicht, ob Sie mich je wieder lebend sehen werden“, war eine beachtliche Leistung. Es gab nie den Druck, mit Emotionen umzugehen. Keine Tat kann mit der Kraft der Geschichte eines Mannes verglichen werden, sowohl über sich selbst als auch über andere Menschen.
Überhaupt kein Problem. Eine Seite der Geschichte in Deutschland wird Selenskyj und die ukrainische Perspektive sein. Aber, Herr Welzer, es gibt auch gegensätzliche Standpunkte und Ihre Bemühungen, eine Geschichte zu spinnen, sind nur ein Beispiel dafür. Natürlich geben Sie sich viel Mühe, aber Sie kommen von allen Seiten und entdecken weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes.
Wie riskant ist diese Erzählung: Tugend vs. Laster?
Absolut richtig. Mir hat diese Geschichte sehr gut gefallen. Auf Ihre Äußerung, Herr Welzer, würde ich antworten: „Der Nachfolger der Täternation erklärt dem Vertreter der Opfernation, was Krieg ist, wodurch die Differenzierung völlig aufgehoben wird und damit die andere Geschichte, Gut gegen Böse, wiederhergestellt wird.“
Mit anderen Worten: Es ist an Bedingungen geknüpft. Den Tschetschenen ist es nicht gelungen, die Stadt einzunehmen, also sagt Grosny, dass Russland das Sagen hat. Die Tschetschenen sind vor allem daran interessiert, dass Sie sich einmischen. Sie waren in Grosny, nachdem die Tschetschenen die russischen Soldaten vernichtend geschlagen hatten. Die Russen brauchen für jede Verteidigung in einer städtischen Umgebung fünf Angreifer und waren nie auf eine Belagerung einer Stadt vorbereitet.
Trotz ihrer misslichen Lage widerstand sie dem Drang, alles dem Erdboden gleichzumachen. Dann ist da noch der Fall der Bombardierung Dresdens durch die alliierten Streitkräfte. Dies führte zu einer Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Widerstand des deutschen Volkes gegen die Nazis. Die sogenannte Bestrafungsstrategie scheint kläglich zu scheitern. Meiner Ansicht nach gab es keinen einzigen Fall, in dem es ihr durch terrorisierenden zivilen Ungehorsam gelang, sich gegen das Regime aufzubringen. Das geschah sogar während des Vietnamkriegs.
Und was werde ich verlieren?
Nachdem alle anderen Alternativen in Betracht gezogen wurden, könnten sie versuchen, diese Waffe einzusetzen. Eine alternative Theorie ist die Infrastruktur: Objekte müssen eine Fehlfunktion aufweisen, damit andere sie nicht verwenden können. Dies erfordert jedoch nicht, eine ganze Stadt dem Erdboden gleichzumachen.
Der Wunsch, nach dem Konflikt wieder aufzubauen, ist eine weitere Frage, die beantwortet werden muss. Mit ihrer Begründung: „Nach dem Krieg wollen wir sicherstellen, dass der Aufbau schnell vorangeht, damit wir so wenig wie möglich zerstören“, sind die NATO-Streitkräfte im Libanon äußerst vorsichtig, um keinen übermäßigen Schaden anzurichten.
Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Um die Bewegung feindlicher Streitkräfte zu erleichtern, wurde eine einzigartige Brücke gebaut. Dann erreichte das NATO-Oberkommando die Nachricht: „Nein, wir werden die Brücke nicht zerstören, denn wir werden sie nach dem Krieg brauchen.“
Wie sollte ein Krieg aus der Sicht eines Angreifers geführt werden?
Dies gelang den Alliierten, als sie im Zweiten Weltkrieg an der Seite Deutschlands kämpften. Der Nachteil dabei ist, dass dies einen enormen Arbeitsaufwand in Bezug auf Arbeitskräfte, Logistik, Koordination usw. erfordert. Da es eine andere Seite gibt, die diese Ziele zerstören will, ist der Krieg ein sehr kompliziertes und vieldeutiges Unterfangen.
Es ist bemerkenswert, dass Russland der ukrainischen Regierung ein Angebot für einen Waffenstillstand in Mariupol unterbreitete und damit seinen Wunsch zum Ausdruck brachte, sich aus der Stadt zurückzuziehen. Um sicherzustellen, dass die Russen nirgendwo anders landeten, hielten die Ukrainer sie vermutlich in Mariupol fest. Um ihre strategischen Ziele zu erreichen, strebt die ukrainische Regierung daher die völlige Zerstörung Mariupols und den Verlust vieler Zivilisten an. Manchmal frustriert mich eine Berichterstattung, die ausschließlich auf Bildern basiert und keinen Kontext liefert.
Beachten Sie, wie sich unterschiedliche Kulturen der Gewalt sowohl im zivilen Leben als auch innerhalb der jeweiligen Streitkräfte verbreitet haben. Was genau bedeutet das? Es scheint, dass ein gewisses Maß an Gewalt ganz natürlich ist, und das meine ich nicht trivial. Zumindest seit Jahrzehnten ist die Mordrate in den europäischen Wohlfahrtsstaaten bemerkenswert konstant. Dafür gibt es keine wissenschaftliche Begründung. Zweitens ist klar, dass die meisten Gründe für Gewalt ihren Ursprung in der Kultur haben.
Ist das möglich?
Wenn es um die Regulierung von Schusswaffen geht, ist die EU zum schwächsten Glied im globalen System geworden. Eine offizielle Erklärung nach 1945 lautete: „Wir wollen das nicht mehr.“ Aber in anderen Gesellschaften ist das anders. Jemanden oder etwas zu zwingen, seine Freiheit aufzugeben, ist nur ein Mittel zum Zweck.
(Theodora Gaub)
Vor einhundert oder zwei Jahren gehörten die europäischen Nationen zu den mächtigsten der Welt. Heute ist die Europäische Union ein sicherer Hafen für freie Meinungsäußerung überall. Er machte sich damals daran, die Gewalt in seinem Leben auszumerzen. Und in manchen Kulturen sieht es ganz anders aus.