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Hat Florence Gaub Kinder? Ein Blick in das Privatleben der Sicherheitsforscherin

Hat Florence Gaub Kinder?

Hat Florence Gaub Kinder? – Wir waren von Anfang an verwirrt darüber, was Russland jetzt will. Ist plötzlich die ganze Ukraine willkommen oder nur Donbass und die Krim? Oder beginnen wir einen dritten Weltkrieg? Ein Teil des Problems ist, dass wir nicht verstehen, was die andere Seite als Geschichte erzählt. Wir sind uns voll und ganz bewusst, welche Geschichten die Ukraine erzählen will und welche Geschichten wir uns selbst erzählen wollen, aber wir verstehen die Geschichte Russlands nicht.

Was bleibt mir dann?

Wenn sie keine anderen Mittel hätten, könnten sie trotzdem versuchen, diese Waffe einzusetzen, auch wenn sie nichts dergleichen hätten. Wir haben eine Infrastruktur, die unsere Ansprüche stützt. Wenn eine Person etwas einsetzt, kann es eine andere nicht. Aber das bedeutet nicht, dass man eine ganze Stadt zerstören muss.

Und: Wollten Sie nach dem Krieg wieder aufbauen oder nicht? Nach dem Krieg wollen Sie schnell wieder aufbauen, deshalb zerstören Sie so wenig wie möglich. Die NATO hat in Libyen sehr darauf geachtet, nicht zu viel zu zerstören. Ich möchte ein Beispiel nennen: Dort gab es eine spezielle Brücke, über die feindliche Truppen transportiert wurden. Die Botschaft aus dem NATO-Hauptquartier war: „Nein, wir werden die Brücke nicht zerstören, denn wir werden sie nach dem Krieg brauchen.“

Wie würde hinsichtlich der Angriffe ein idealer Kriegsverlauf aussehen?

Im Idealfall wären im Krieg Truppen und Infrastruktur so gut aufeinander abgestimmt, dass man den Spieß einfach umdrehen und angreifen könnte, was man will. Genau das haben die Alliierten im Zweiten Weltkrieg mit Deutschland gemacht. Allerdings erfordert das einen enormen personellen, logistischen und Koordinationsaufwand usw. Krieg ist ein sehr komplexes und verwirrendes Unterfangen, denn es gibt eine andere Seite, die versucht, diese Ziele zu zerstören.

Gibt es hinter der Zerstörung Mariupols eine tiefere Geschichte? Die Tatsache, dass Russland der Ukraine einen Waffenstillstand in Mariupol anbot, ist interessant, weil sie zeigt, dass Russland nicht in der Stadt bleiben wollte. Um sicherzustellen, dass die Russen nicht woanders landeten, hielten die Ukrainer sie offenbar in Mariupol fest.

Das heißt, die ukrainische Regierung ging aus strategischen Gründen davon aus, dass Mariupol völlig zerstört würde und viele Zivilisten sterben würden. Es ärgert mich manchmal, wenn ich berichte, dass unseren Zuschauern Bilder ohne jegliche Erklärung der Hintergründe gezeigt werden.

Lassen Sie uns von Ihnen etwas über die Situation unterschiedlicher Gewaltkulturen in der Gesellschaft und den jeweiligen Armeen hören. Was ist darunter zu verstehen? Es scheint, dass ein gewisses Maß an Gewalt einfach normal ist – ich möchte es nicht bagatellisieren, aber es muss verstanden werden. Zumindest in den Wohlfahrtsgesellschaften Europas haben wir seit Jahrzehnten eine sehr stabile Mordrate. Wir haben dafür keine wissenschaftliche Erklärung. Zweitens sind natürlich ein Großteil der Hinweise auf Gewalt kulturell konstruiert.

Der Knoten?

Die Europäische Union ist zu einem globalen Hort friedlicher Proteste geworden. Nach 1945 war die Entscheidung gefallen: Wir wollen das nicht mehr. In anderen Gesellschaften ist das anders. Der Einsatz von Gewalt ist nur ein Mittel, um bestimmte Dinge zu befreien.

Theodora Gaub

Noch vor ein oder zwei Jahrhunderten gehörten die europäischen Nationen zu den mächtigsten der Welt. Heute ist die Europäische Union der sichere Hafen für friedliche Demonstranten aus aller Welt. Nach 1945 wurde entschieden: Wir wollen das nicht mehr. Und dann tat er alles, was nötig war, um Gewalt nach und nach aus jedem möglichen Aspekt des Lebens zu verbannen. In anderen Gesellschaften ist das anders. Dort ist Gewalt nur ein Mittel zum Zweck – um zu bekommen, was man will.

Als Sie im Frühjahr gegenüber Markus Lanz sagten, die Russen sähen zwar „europäisch aus“, seien aber „nicht europäisch im kulturellen Sinn“ und hätten „ein anderes Verhältnis zu Gewalt und Tod“, erlebten Sie ebenfalls einen Sturm der Entrüstung. Tatu Furenzwei: Sie sagen, liebe Frau Gaub, ein Krieg sei eine Geschichte, die erzählt wird. Was bedeutet das?

Eine zweiteilige Geschichte von Florence Gaub: Erstens eine strukturelle Biografie. Eine fesselnde Geschichte hat einen Cliffhanger mit mehreren dramatischen Momenten und immer eine Erzählung oder Bedeutung, die sich durch sie zieht. Krieg hat das auch. Und zweitens lebt eine Geschichte emotional weiter, und das gilt auch für Krieg; es geht um das Existenzielle; er zwingt uns als Menschen, etwas zu tun, was wir normalerweise nicht tun würden.

Sogar das Überleben der Nation, sogar der Identität, kann wichtiger sein als der Tod. Selbst in den einfachsten Geschichten gibt es immer Gute und Böse. Je stärker die Erzählung, desto einfacher ist es, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Für viele wurde in den jüngsten Ereignissen eine Grenze gezogen: Die Ukrainer sind die Guten, die Russen sind die Bösen.

Nein, wir hätten gewonnen, wenn Russland plötzlich unsere Ansichten teilen würde. Aber das tun sie ganz sicher nicht. Und wenn man sich den Abstimmungsprozess in der UN-Generalversammlung ansieht, sieht man, dass wir nicht alle überzeugt haben. Jeder von uns war von Anfang an überzeugt. Aber das ist immer noch ein Monolog. Wenn der ukrainische Präsident Serhij Selenskyj auf den russischen Medienmarkt zurückkehren würde, würde sich alles ändern.

Sein aktueller Wahlkampf hat keine große Wirkung auf die russische Bevölkerung, da diese viele ihrer Nachrichten über das staatliche Fernsehen und nicht über Twitter erhält. Deshalb hat er auch einige Videos aufgenommen, überwiegend auf Russisch. Auch für Ukrainer, die Russisch sprechen. Wir gehen aber davon aus, dass damit auch die russische Bevölkerung erreicht werden soll.

Wie erklären Sie, dass die Rolle von Geschichten und Bildern in der Diskussion über diesen Krieg kaum berücksichtigt wird? Weil die emotionale Achterbahnfahrt in Deutschland bereits vorbei ist. Fast das ganze Land befindet sich bereits auf diesem emotionalen Tiefpunkt, der eine objektive Betrachtung der Lage unmöglich macht. Die Bilder sind individuell aufgenommen, die Geschichte wird individuell erzählt.

Dekonstruktion war schon immer gefragt. Und nun ist alles wahr, was man für wahr hielt?

Desinformation, wie man sie erkennt und dass man alles hinterfragen muss, ist ein Thema, das seit Jahren diskutiert wird, nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU. Und dann taucht man wirklich in die Geschichte ein. Selenskyj hat eine ausgezeichnete Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, und das macht er sehr gut. Er ist nicht nur ein talentierter Schauspieler, sondern auch ein ausgezeichneter Redner. Seine Reden sind immer auf das spezifische Publikum zugeschnitten, an das er sich wendet.

Was bereitet Ihnen Sorgen?

Das erinnert mich an seinen Auftritt im Video-Feed des britischen Unterhauses, in dem er (wenig überraschend) Churchill zitierte. „Ich weiß nicht, ob Sie das Leben je wiedersehen werden“, sagte er hier im Europäischen Rat. Niemand war jemals gezwungen, sich mit seinen Emotionen auseinanderzusetzen. Das mächtigste Werkzeug, das es gibt, ist die Geschichte, die Sie über sich selbst und über andere Menschen erzählen.

Ja, genau. Und in Deutschland sind Selenskyj und das ukrainische Narrativ weitgehend bestimmt. Auf der anderen Seite gibt es andere Stimmen, genau wie Ihre Versuche, eine Geschichte zu erzählen, Herr Welzer. Sie geben sich offensichtlich Mühe, denn Sie kommen aus einem anderen Umfeld und haben keine offensichtlichen guten oder schlechten Eigenschaften.

Alle sprachen von den Brüchen der Geschichte, wie dem offenen Brief gegen Waffenlieferungen und Habermas‘ Intervention. Völlig richtig. Diese Geschichte ist sehr schmerzhaft. Ihnen gegenüber, Herr Welzer, würde ich sagen: „Der Nachfolger der Täternation erklärt dem Vertreter der Opfernation, was Krieg ist, wodurch die Differenzierung völlig aufgehoben wird und damit die andere Geschichte, Gut gegen Böse, wiederhergestellt wird.“

Was ist das Risiko dieser Erzählung? Gut gegen Böse?

Wenn Menschen sagen: „Die anderen sind anders als die Mehrheit“, ist das eine Art, sich selbst zu definieren und eine Atmosphäre zu schaffen, die eher zu Konflikten führt. Das ist an sich nicht gefährlich. Aber es ist der erste Schritt in Richtung: Einer ist toll, der andere ist schlecht. Und so wie einer sagt: „Das ist schlecht“, antwortet ein anderer: „Das ist gut, aber es gibt auch gute Seiten“ – was die Realität des Menschen ist.

Aber wenn man sagt: „Anders sein heißt böse sein“, dann schafft das die emotionale Distanz, die den Einsatz von Gewalt ermöglicht. Es ist auch ein Zeichen der Gefahr, wenn Gut-Böse-Denken aufkommt. Aber jetzt ist es an der Zeit, etwas sehr Negatives zu sagen: Hört zu, Leute, dieser Putin hat durchaus auch seine guten Seiten.

Wollen Sie damit sagen: Hitler war auch nett zu seinem Hund? Was mich stört, ist, dass es uns wirklich schwerfällt, die Komplexität vieler Opfer zu akzeptieren, insbesondere wenn es um Gewalt und Krieg geht. Wir wollen nicht, dass die andere Person kompliziert ist. Es ist einfacher zu sagen, Putin sei böse oder verrückt, als zu sagen: „Vielleicht hat er ein Argument, das ich einfach nicht verstehe.“ Wie ist die Geschichte aus russischer Sicht überhaupt?

Geht es in Russland nicht um die Befreiung der Ukraine von der Nazi-Herrschaft?

Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Manchmal kann man es sogar ganz einfach darstellen; ich verwende Grosny als Beispiel. Laut Grosny hat Russland die Kontrolle, weil es den Tschetschenen nicht gelungen ist, die Stadt einzunehmen. Das war eher so, als hätten die Tschetschenen gesagt: Kommt rein. Schließlich massakrierten die Tschetschenen die in Grosny stationierten russischen Soldaten.

Denn in einer urbanen Umgebung brauchten sie fünf Angreifer für jeden Verteidiger, und die Russen waren nicht einmal auf einen urbanen Kampf vorbereitet. Sie versuchten nicht, alles perfekt zu machen, aber sie steckten in der Klemme. Dresden, von den Alliierten bombardiert, dann kommt das Szenario. Eine Kombination aus Vergeltung und der Hoffnung, dass dies das deutsche Volk dazu bringen würde, die Nazis abzulehnen.

Dies ist ein Beispiel für die sogenannte Bestrafungsstrategie, die nicht sehr effektiv zu sein scheint. Meiner Meinung nach gibt es keinen einzigen Fall, in dem es durch Terrorisierung der Zivilbevölkerung gelungen wäre, diese gegen das Regime aufzubringen. Auch im Vietnamkrieg war diese Strategie nicht erfolgreich.

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