Olivia Kortas Freund – Markus Lanz, der «die wirksamste politische Plattform im Fernsehen» Giovanni di Lorenzo hat, gewann den Deutschen Fernsehpreis für Informationssendungen, obwohl er zunächst als Witz abgetan und übel belächelt wurde. Was zur Hölle ist hier los? Wie schaffte es Lanz, seine vielen vermeintlichen Fehler, wie seine Angewohnheit, andere zu unterbrechen, in etwas zu verwandeln, das man feiern kann, weil «endlich mal jemand fragt!»? Wie der Moderator ist auch Lars Haider neugierig auf alles und schaut sich sechs Monate lang jede Folge an. Seine Berichte über seine Zeit bei Lanz finden Sie in dieser Rubrik.
26. April Besucher
Das Verhältnis von Sendezeit zur Zahl der Gäste ist eine Stärke der Talkshows von Markus Lanz. Der Moderator muss meist nicht darauf achten, dass die Rede von Politiker A mindestens so gut ist wie die von Politiker B, denn 75 Minuten sind viel, vor allem wenn nur ein Politiker gleichzeitig im Studio ist, oder C und D. So machte etwa Roderich Kiesewetter von der CDU, der gelegentlich in anderen Talkshows auftrat, woanders aber keine große Anerkennung fand, bei Lanz eine beeindruckende Figur.
Denn es gibt ihm mehr Gelegenheiten, Angela Merkels Regierung und seine eigene Partei zu kritisieren. Lanz will Kiesewetter, den ersten Gast aus der Union seit fast zwei Jahren, offensichtlich nicht ziehen lassen, nachdem dieser in den vergangenen Wochen SPD-Politiker wegen des «verhätschelten» Ansatzes seiner Partei gegenüber Wladimir Putin brutal behandelt hatte. Der Moderator muss nicht gleich in den journalistischen Angriffsmodus wechseln; er ist schon da.
Kiesewetter macht sich nicht die Mühe, Begründungen zu liefern oder seine Ansichten zu verteidigen. Das liegt auch daran, dass der pensionierte Oberst die Bundeswehr lange vor den Zielen Russlands und dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 gewarnt hatte: „Seit 2017 waren ich und einige Kollegen strikt dagegen, aber unsere Wirtschaftspolitiker haben gewonnen. Auch im Kanzleramt hat sich das wirtschaftspolitische Ressort gegen das sicherheitspolitische durchgesetzt.“
«Das war schlicht falsch», sagt Kiesewetter. Auch in den Reihen der Union habe es Widerstand gegeben, der aber ignoriert worden sei. Durch den Atomausstieg und den langsamen Ausbau erneuerbarer Energien seien wir extrem abhängig vom Gas. Friedrich Merz stimmte zu, dass diese Information verarbeitet werden müsse. Kein Talkmaster könnte seine Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel offener äußern.
Ein Moderator wie Markus Lanz wäre schnell überflüssig, wenn alle Gäste so eloquent wären wie Kiesewetter. Der Abgeordnete gibt auch zu, dass die deutsche Regierung die Bedrohung durch Russland heruntergespielt habe, weil sie glaubte, intensive Wirtschaftsbeziehungen könnten das Land und seinen Herrscher verändern; dieses Prinzip des „Wandels durch Handel“ sei der Kern von Bundeskanzlerin Merkels Russlandpolitik gewesen.
Doch statt dass sich Russland verändert hat, haben wir uns weiterentwickelt. Sie haben unsere Freundlichkeit und unseren guten Willen ausgenutzt. Deshalb braucht die Ukraine jetzt die Lieferung schwerer Waffen. Nach langem Hin und Her hat sich Deutschland schließlich für die Lieferung von Panzern entschieden, doch Olaf Scholz sprach sich bis zum Beginn der Ausstellung dagegen aus.
Die Journalistin Kristina Dunz sagte, sie sei am vergangenen Freitag «verwundert» gewesen, als der Bundeskanzler im Spiegel-Interview behauptete, er treffe alle Vorkehrungen, um einen dritten Weltkrieg und ein nukleares Armageddon abzuwenden. Was könnte eine solche Behauptung rechtfertigen? Scholz habe «in Telefonaten mit Putin gehört, dass ein Atomschlag unmittelbar bevorstehe» oder er habe die Nerven verloren.
Dunz behauptet, die Bundeskanzlerin sei nicht dafür bekannt, die Fassung zu verlieren, also tendiere sie zu Szenario zwei. Markus Lanz schafft das fast Unmögliche, indem er ein Fernsehinterview mit dem russischen Außenminister Lawrow führt, in dem Lawrow tatsächlich dreimal das Wort „Krieg“ erwähnt und es dann seinem Publikum vorspielt. Russland hat ein Gesetz dagegen, das eine Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis vorsieht, aber was Wladimir Putin in der Ukraine tut, ist unter dem Deckmantel einer speziellen Militäroperation legal. Lanz‘ Schlussworte zum Film lauten: „Dreimal ein Krieg der Worte.“ 45 Jahre!
27. April Gäste
Politiker, die Markus Lanz besuchen, sollten, wenn sie klug sind, mindestens zwei oder drei Botschaften mitbringen, die sie unbedingt weitergeben wollen, und einen Satz, der so prägnant ist, dass er in den Morgenzeitungen und auf Online-Nachrichtenseiten Erwähnung findet. Um den Überblick darüber zu behalten, wer was über Lanz gesagt hat, postieren manche Redakteure während jeder Sendung einen Reporter vor den Fernseher.
Es dürfte viele Leute interessieren, wer an diesem Abend in der Sendung zu Gast sein wird, denn mehrere Websites liefern sich offenbar ein Wettrennen darum, wer als Erster die Gäste bekannt gibt. Bei Google wird häufig der Satz «Heute ist Markus Lanz zu Gast» eingegeben. Obwohl Grünen-Chef Omid Nouripour Annalena Baerbock gerne wieder in der Sendung hätte, weiß er das alles, denn er ist der ständige Vertreter seiner Partei bei Markus Lanz.
Doch danach kommt sie nicht mehr. Ein Auftritt bei Lanz verlief für die Außenministerin nicht nach Plan. Nouripour ist oft dabei, und diesmal sagte er den Satz des Abends, der am nächsten Tag in den Morgennachrichten wie «Focus» und «n-tv» zu sehen sein wird. Es geht um die Beteiligung oder Nichtbeteiligung von Gerhard Schröder, einem Freund Wladimir Putins, am Konflikt in der Ukraine.
„Von manchen ist man enttäuscht, und bei anderen fragt man sich, was sie empfinden, wenn sie in den Spiegel schauen“, ergänzt Nouripour. In einem Interview mit der New York Times sagte er, sollte Russland Deutschland und der Europäischen Union die Gaslieferungen einstellen, werde Schröder jederzeit seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Staatskonzerns Rosneft aufgeben.
28. April Gäste
Vor zwei Wochen hatte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, in der Sendung von Markus Lanz Bundeskanzler Olaf Scholz wegen seiner Ukraine-Politik mit einem Hütchenspieler verglichen. Dem Moderator gefiel das, einem ehemaligen Bundesverteidigungsminister hingegen gar nicht. Thomas de Maizière, der heute bei Lanz zu Gast ist, sagt:
«Über schwere Waffen, das Ernsteste in der Politik, die Entscheidung über Krieg und Frieden und Leben und Tod, wurde gestritten, als ginge es um Geschwindigkeitsbegrenzungen.» Ihn ärgere die Unfähigkeit des Kanzlers, seine Politik zu erklären, aber auch das «drittklassige Gerede drumherum». Lanz fragte: «Wer macht denn so ein drittklassiges Gerede?» De Maizière: «Wenn Leute, die den Namen Bundeswehr nicht aussprechen können und die rot werden, wenn sie von Waffenlieferungen hören, nach Lemberg fahren, zurückkommen und sich aufführen, als wären sie die großen Waffenexperten, das geht nicht.»
Besonders kritisch sehe ich den Umgang der Koalition mit den Dingen. In so einer Sache wird ein Koalitionsausschuss gebildet, eine gemeinsame Kommunikation erarbeitet und dann hält sich jeder an die Linie. Allein diese Stimmenvielfalt schadet dem Ansehen Deutschlands.“ An dieser Stelle bedient sich Lanz etwas, was man im „Spiegel“ einmal Lanzismus nannte. Erst sagt er: „Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen, wir müssen sensibel kommunizieren.“ Dann wechselt er abrupt die Themenrichtung:
«Nun zurück zum Bundeskanzler. Wie fanden Sie sein jüngstes Interview mit dem 'Spiegel'? Ich zitiere: 'Ich tue alles, was ich kann, um einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Es darf keinen Atomkrieg geben.' Atomkrieg, Weltkrieg, alles in zwei Sätzen abgehandelt. Ohne zu sagen, was die Hintergründe sind, ohne wirklich Gründe dafür anzugeben. Ich nenne das Gemurmel. Es macht den Leuten Angst.»